
Würzburg im Schnelldurchlauf
Sie kommen aus Frankfurt und wollen nach Nürnberg? Zwangsläufig, zumindest wenn Sie Fan Deutschlands beliebtester, für sich in Anspruch genommener Erfindung, der Autobahn sind, kommen Sie an Würzburg vorbei. Im Radio läuft gerade der Staumelder und ein nicht allzu seltener Spruch kommt Ihnen zu Ohren: „Die Vollsperrung auf der A3 zwischen Würzburg-Heidingsfeld und Randersacker dauert noch mindestens zwei Stunden an.“ „Was jetzt?“ fragen Sie sich. Machen Sie doch einen Abstecher in die fränkische Mainmetropole, wie sie manche Einheimischen gern nennen. Würzburg hat einiges zu bieten, allen voran die hervorragende geographische Lage im Herzen Deutschlands. Zudem befindet sich die Stadt in einem Talkessel, der einige klimatische Highlights mit sich bringt. Wenig Wind, sich anstauende, schweißtreibende Hitze im Sommer, klirrende Kälte und kaum Schnee im Winter gehören da definitiv dazu. Die bei Touristen schwer im Trend liegende Residenzstadt kann auf unterschiedlichste Art und Weise erkundet werden. Zu Fuß, zu Wasser oder mit dem Bähnle.
Also wenn Sie schon mal da sind, sollten wir die Zeit sinnvoll nutzen. Als Treffpunkt den Würzburger Hauptbahnhof zu wählen, war vielleicht nicht unbedingt ein Geniestreich, denn auch Ihre Angebetete würde Sie beim ersten Date vermutlich nicht in eine ranzige Frittenbude einladen. Aber machen wir das Beste draus. Woher ich meinen Charme hab’, fragen Sie sich? Aus Franken natürlich. Des Frankens größtes Kompliment „passt scho“ ist gleichzeitig Sinnbild für die offenherzige, liebevolle und eben charmante Art eines jeden hier. Nun ja, jetzt kommen Sie erst mal vom Bahnhof weg. Seit dem Attentat vor einem Jahr haben wir Würzburger zu Zügen ein etwas angespanntes Verhältnis. Einladend war unser Bahnhof allerdings auch vorher nicht. Die Stadt wurde im Krieg fast völlig zerstört – noch 1945, in nur einer Nacht. Und danach fast so schnell wieder aufgebaut. Das sieht man. Weiter drinnen, wird’s aber besser, versprochen!
Um den Schock zu verkraften sehen wir uns zu aller erst Würzburgs ganzen Stolz an. Das UNESCO Weltkulturerbe, die Residenz. Touristenmagnet, Drehort von Hollywood-Blockbustern und natürlich Austragungsort des Mozartfests. Aber auch Abseits jeglicher Festivitäten und Events ein wirklich schmucker Ort. Die geschwungenen Barocktreppen, die Tiepolo-Fresken, die Stuckdecken, Rosenrabatten und Buchsbaumhecken im Hofgarten – ja, so manche Liebenden haben hier schon zueinander gefunden.
Weiter geht’s durch Würzburgs nächsten Superlativ. Die kleinste Fußgängerzone der Welt. Ein Meilenstein der Verkehrs- und Stadtplanung. Bewundernswert ist vor allem die erhebliche Verkehrsentlastung der vorher stark frequentierten Hofstraße, welche durchaus als Hauptschlagader in Würzburgs Zentrum bezeichnet werden konnte. Von dort aus haben wir auch einen herrlichen Blick auf den Dom. Zugegeben, zur Zeit, als noch Fürstbischöfe die Residenz bewohnten, war die Aussicht auf den Kiliansdom spektakulärer, weil weniger Gebäude, aber auch heute noch kann man die Kirchturmspitzen und die Schönborngruft erspähen.
Wenn wir schon beim Thema Aussicht sind, drehen Sie sich mal Richtung Brücke, besser gesagt: Alte Mainbrücke. Die älteste Steinbrücke Deutschlands ist heutzutage Szenetreff der Würzburger. Wer gerne Wein zum Schnäppchen-Preis genießt und dabei einen herrlichen Ausblick auf Festung, Käppele oder Steinburg erleben möchte, ist hier genau richtig. Übrigens, die Festung Marienberg zählt zu den eindrucksvollsten Baudenkmälern aus alter Zeit. Durch drei Jahrtausende lässt sich die Geschichte der Bergfeste verfolgen. Weniger alt, aber nicht weniger unspektakulär widmen wir uns nun dem Hexenkessel Würzburgs. Apropos Hexen. Eine Sache mit der man sich hier nicht rühmt ist die Hexenverfolgung. Da war die Stadt am Main nämlich ganz vorn dabei. Vorzugsweise am Marktplatz, wo heute die Bänder des Maibaums im Wind wehen, wurden Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer aller Klassen und Stände verbrannt. 219 Delinquenten, deren Haare zu rot oder Umfeld zu launisch war, sind vis-a-vis der Marienkapelle, quasi vor den Augen Gottes, in Flammen aufgegangen.
In ähnlichen Farbtönen und nicht weniger heiß geht es im heutigen Hexenkessel her. Der Flyeralarm-Arena. Gut, der Sinn und Zweck des Menschenauflaufs hat auch mit Schaulust zu tun, allerdings ohne barbarischen Hintergrund. Das Zuhause der Würzburger Kickers, aktuell in Deutschlands dritter Fußballliga angesiedelt, ist das Aushängeschild des Würzburger Rathauses. Keine Röntgenstrahlen, keine NBA-Legende, nein der finanzkräftige Fußball haut die Stadträte von den Socken. Ein winziges Problem besteht da allerdings durch die lästigen Anwohner, die es wagten, ihre Häuser um diesen Prachtbau herum zu errichten und sich nun, gelegentlich, in den Abendstunden durch Menschenmassen und gleißendes Fluchtlicht gestört fühlen. Ich bin mir jedoch sicher, dass die Würzburger Denker und Lenker ähnlich geschicktes Händchen bei der Lösung des Problems beweisen werden wie bei den Arkaden oder dem „Gerüst“ in der Augustinerstraße.
Einen Steinwurf weit entfernt findet man auch schon die nächste Arena. Da staunen Sie nicht schlecht, was? Eine Arena nach der anderen reiht sich in das Stadtbild ein und dient als frivole Stätte um Lust und Leidenschaft zu zelebrieren. Um einen bekannten deutschen Komiker bei seinem Auftritt in der s.Oliver Arena zu zitieren: „ Ich war vorher noch nie in Würzburg und wusste nur, ich trete in der s.Oliver Arena auf. Eine Arena, wow, das muss ein gigantisches Ding sein. Die Ernüchterung kam dann nach dem Aussteigen aus dem Bus, als sich mir der Anblick einer zu groß geratenen Turnhalle bot.“
Man sagt ja immer, der erste Eindruck zählt. Nachdem Ihr erster Eindruck der Bahnhof war, möchte ich das Dilemma mit einem wahren Feuerwerk zum Abschluss wieder gutmachen. Begeben wir uns also ans Hubland. Veranstaltungsort der prestigeträchtigen Landesgartenschau 2018, neu erschlossener Stadtteil und Campus in einem. Wo früher noch die „Stars & Stripes“ prangten, weht jetzt die Flagge der Kultur, Wissenschaft, Lehre und Bildung, kurz gesagt, die der „Julius-Maximilians-Universität“. Ein Ort für die wissbegierige, intellektuelle Elite wird und wurde hier geschaffen. Das in Pagoden gehüllte Universalwissen thront auf einem Hügel über der Stadt. Aus Rücksicht und im Andenken an unsere amerikanischen Freunde hat man sogar einen Großteil der denkmalschutzverdächtigen Kasernengebäude stehen lassen und diese nur kernsaniert. Auch hier nimmt Würzburg wieder eine Vorreiterstellung ein. Wo sonst harmonisieren Deutschland, China und die USA so sehr wie bei uns? Zumindest architektonisch? Nirgends.
Das war’s dann auch mit unserem Schnelldurchlauf. Ich wünsche Ihnen eine gute Weiterfahrt und hoffe, Sie beehren uns bald wieder. Nein? – passt scho’.
Martin Gramm