© Jennie Schulze privat
„Dass ich einmal zu den verrückten Menschen gehöre, die für eine lange Zeit die Welt mit dem Fahrrad bereisen, hätte ich früher nicht gedacht“, so die Würzburgerin Jennie Schulze. Nachdem sie vor drei Jahren eine Dokumentation über einen Mann gesehen hatte, der innerhalb eines Jahres mit dem Fahrrad von Deutschland nach China gefahren ist, begann ihr bislang größtes Abenteuer ...
Die damalige Sozialarbeiterin legte sich eine komplette Radreise-Ausrüstung zu und startete mit dem Training: Sie unternahm zahlreiche kleinere Ausflügen innerhalb Deutschlands; später wurden daraus Mini-Abenteuer mit Abstechern nach Dänemark, Schweden, Norddeutschland und in die Niederlande. „Jedes Mal, wenn ich so bepackt auf dem Fahrrad saß, verspürte ich ein unendliches Freiheitsgefühl, das mir so viel Unabhängigkeit gab. Also warum nicht einfach mal für ein Jahr aus dem Alltagstrott, der damals überwiegend daraus bestand zur Arbeit zu gehen, ausbrechen?“, fragte sich die 41-Jährige. Und so machte sich Jennie am 31. August 2023 nach langer Vorbereitungszeit schließlich auf den Weg.
„Ich düste einfach mal direkt innerhalb eines Monats nach Montpellier. Danach habe ich es aber weitaus langsamer angehen lassen. Ich liebe es, Entschleunigung ins Reisen zu bringen. Nicht so viele Kilometer täglich zurückzulegen oder einfach mal länger an Orten zu bleiben, an denen es mir gefällt“, berichtet Jennie. Und so lautet ihr Lebensmotto mittlerweile „Go slow with the flow on your bike“. Diese langsame Art des Reisens ermöglicht es ihr, die Schönheit der Umgebung intensiv zu erleben und immer wieder neue, aufregende Begegnungen zu erfahren. Spanien beeindruckte sie besonders, vor allem die Strecke entlang der Küste und der Tipp, von Malaga nach Ronda zu fahren, stellte sich neben den Pyrenäen als eines der Highlights heraus.
Trotz der Anstrengungen und der Herausforderungen, die das bergige Gelände mit sich brachte, fand sie überall Reizvolles und genoss die wechselnden Landschaften und Sinneseindrücke. „Man nimmt vieles Unangenehme in Kauf und wird so dankbar für die einfachsten Dinge – zum Beispiel für eine heiße Dusche oder ein bequemes Bett“, sagt Jennie. „Die meiste Zeit zelte ich nämlich irgendwo mitten in der Wildnis. Das mag ich am meisten an dieser Reise: fernab der Zivilisation inmitten der Natur, dem größten Wunder auf der Welt, zu sein, Ruhe und Frieden zu verspüren.“ Ein kurzer Abstecher nach Marokko im Februar brachte jedoch gemischte Gefühle mit sich. Die Konfrontation mit viel Tier- und Menschenleid führte Jennie schon nach nur einer Woche zurück nach Spanien. „Wahrscheinlich bin ich zu sensibel für so ein Land“, vermutet sie. „Aber das ist ja genau das schöne an meiner Reise: Ich muss nirgends bleiben, wo es mir nicht gefällt.“
Mit einem geplanten Rückkehrdatum am 1. September verbleiben nun noch rund drei Monate von Jennies großem Abenteuer. „Ob ich mich nach dieser Reise wieder in geschlossenen Räumen und mit festen Verbindlichkeiten wohl fühlen werde, wird sich zeigen. Vielleicht kommt aber auch der Tag, an dem ich alles kündige und verkaufe, um nochmal mit dem Fahrrad loszuziehen.“ Die vielen Daumen nach oben und motivierenden Worte, die sie unterwegs ermutigt haben, erfüllen sie mit Glück und Stolz. „Dass man das wirklich wuppen und sich mit eigener Kraft an ferne Orte bringen kann, ist für mich manchmal unfassbar“, strahlt Jennie. „Es macht mich verdammt stolz, dass ich so weit mit dem Fahrrad gefahren bin und alle schweren Momente komplett alleine gestemmt habe! 'You are a brave woman' wurde mir wohl mit am häufigsten ausgesprochen. Ja, das mag wohl so sein.“
Jennies Reise ist ein inspirierendes Beispiel dafür, dass man so viel mehr schaffen kann als man denkt, wenn man den Mut dafür aufbringt und den Schritt aus der Sicherheit ins Ungewisse wagt. Und noch ein kleiner Fun Fact am Rande: Jennie hat bisher – nach über 8.000 gefahrenen Kilometern – noch keinen einzigen Platten gehabt.