Herr Strunk, Ihr Werk ist ja sehr vielfältig, am meisten sind Sie aber aufgrund Ihrer Romane bekannt. Diese bieten einige Parallelen: Sie sind ein gutes Stück weit autobiografisch, bestechen durch lakonischen Humor und der Hauptprotagonist hat oftmals Akne. Das erinnert mich an Charles Bukowski, nur ohne Prügeleien…
Ja, immerhin zwei von fünf Protagonisten haben Akne, aber ein Leitmotiv ist es dadurch nicht. Bukowski zählt aber sicher zu meinen Einflüssen. Zumindest ist er ein früher Einfluss.
Haben Sie daneben vielleicht noch weitere literarische Vorbilder?
Ich zähle die großen nordamerikanischen Erzähler zu meinen Vorbildern. Und dann gibt es noch meinen Favoriten: J. M. Coetzee. Botho Strauß ist noch zu nennen, von dem habe ich ja auch eine Anthologie herausgegeben. Und Kafka.
Bei Kafka bildet ja dessen Vater eine zentrale Figur innerhalb seines Werks. Bei Ihnen ist es wohl die Mutter…
Das kann man wohl so sagen.
Meine Mutter hat mir beigebracht, dass man bei Tomaten den Strunk abschneidet. Gibt es etwas in diese Richtung Gehendes, was Sie von Ihrer Mutter beigebracht bekamen?
In diese Richtung gar nicht. Meine Mutter hat die Hausfrauentätigkeiten an meine Großmutter abgetreten. Was solche praktischen Sachen betrifft hat sie recht wenig Einfluss auf mich gehabt.
Hermann Lenz hat gesagt: „Literatur entsteht in der Einsamkeit“. Stimmt das?
Nein, das halte ich für Unfug. Literatur entsteht da, wo sie geschrieben wird. Da möchte ich mit einem Zitat von Philip Roth kontern: „Amateure warten auf Inspiration. Profis setzen sich hin und arbeiten.“ Da ist viel dran. Ein Autor sollte in der Lage sein, an jedem beliebigen Ort – sei es in einem Café oder in der Einsamkeit des Südpols – etwas zu Papier zu bringen. Alles andere halte ich für Ausflüchte.
Das bedeutet: Schreiben ist das beste Mittel gegen die berüchtigte Schreibblockade.
So ist es. Ich selbst war zweimal in meinem Leben in der Situation, mich mit seriellen Sachen zu beschäftigen, einmal für´s Fernsehen, einmal für´s Radio. Da kann man sich Schreibblockaden gar nicht leisten. Klar ist die Qualität der Einfälle nicht immer gleich hoch. Aber es gibt da einen weiteren Satz, der viel Wahrheit erhält: „Quantität schafft Qualität“.
Was im Grunde auf „Übung macht den Meister“ hinausläuft…
Ja, genau, diese ganzen Sprichworte und Redensarten haben sich ja nicht zu Unrecht durchgesetzt.
Ich habe tatsächlich noch ein Sprichwort auf Lager, das ich von Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Literat und Humorist geprüft haben möchte: Können Sie mir die Redensart „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ erklären?
Ja, und zwar mit einem Satz, der zwar komplizierter klingt, aber das Gleiche ausdrückt: „Humor ist eine Antwort auf Melancholie, um eben diese zu überwinden.“ Dazu bedarf es ein gewisses Maß an Intelligenz – weil manche Spielarten des Humors wie z.B. Ironie nun mal Intelligenz voraussetzen. Das, was landläufig als witzig bezeichnet wird, ist in der Regel ziemlich unkomisch. Ich will damit sagen, dass z.B. diese sogenannte rheinische Frohnatur zu den humorlosesten Menschen zählt, die es gibt. Das gilt auch für dieses Comedy-Phänomen, das sich seit den Neunzigern flächendeckend ausbreitet. Die meisten Dinge, die als Comedy firmieren, sind sehr unerfreulich. Meines Wissens sind ernstzunehmende Humoristen durch die Bank eher Menschen, die zu Schwermut neigen.
Dann stimmt es wohl auch, dass sich Komik und Tragik stets die Hand halten.
Definitiv. Humor setzt den Unwegsamkeiten des Lebens ein relativierendes Motiv entgegen. Er ist ein Gegenpol zum täglichen Lamentieren und ein gutes Mittel gegen das Leid der Welt. Ich glaube, guter Humor entsteht aus Leid und Elend – und entsprechend das Phänomen, dass Komik mittelbar oder unmittelbar an Tragik anknüpft.
Nachdem es diese sprichwörtliche rheinische Frohnatur gibt und entsprechende Gags: Gibt es so etwas wie hanseatischen Humor? Weist er vielleicht schon aufgrund hanseatischer Breitengraten Richtung Großbritannien?
Das kann man schon so sagen, ich beobachte das auch an mir selbst. Die Studio Braun-Sachen, die ich mit Rocko Schamoni und Jaques Palminger mache, sind klar norddeutsch gefärbt. Beim Humor scheint es eine Art Nord-Süd-Gefälle zu geben: Im Süden der Republik lacht man offenbar über andere Sachen. Ich merke das auch an den Zuschauerzahlen meiner Lesetouren. Das heißt nicht, dass ich nicht z.B. gerne nach Würzburg komme. Ich weiß aber auch, dass ich dort weniger Menschen erreiche. Mag sein, dass das aber auch daran liegt, dass ich eben Hamburger bin und meine Bücher in norddeutschen Milieus spielen.
Vielleicht gibt es auch bei Lesereisen einen Heimvorteil?!
Bestimmt sogar. Dass man mit allem überall gleich gut ankommt, ist Wunschdenken. Man muss schon ein richtiger Star sein, dass die Herkunft keine Rolle mehr spielt.
Vorhin ist das Stichwort Melancholie gefallen: Ich habe aufgeschnappt, Sie könnten sich nichts von der Seele schreiben. Gleichzeit besagt eine Redensart, man könne frei von der Leber reden – und die Leber wiederrum sei der Ursprung melancholischer Stimmungen. Lassen Sie uns weiterhin Sprichwort-Forschung betreiben: Inwiefern passt das zusammen?
Das weiß ich nicht. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was das bedeuten soll. Meint es dasselbe wie „Das Herz auf der Zunge tragen“? Als ich sagte, ich könne mir nichts von der Seele schreiben, habe ich das in Bezug auf eine etwaige therapeutische Funktion des Schreibens gemeint. Auch wenn manche sagen, dass Probleme sich in Luft auflösen, wenn man sie aufschreibt: Auf mich trifft das nicht zu. Ich halte das für einen frommen Wunsch. Gleichzeitig habe ich aber kein Problem damit, über mich zu schreiben, meine bisherigen Bücher belegen das ja. Das wird mit dem nächsten Roman zwar anders – allerdings greife ich selbst da eigene Empfindungen und Erfahrungen auf. Anders funktioniert das auch gar nicht. Ich glaube Autoren nicht, die behaupten, ihre Geschichten und Figuren hätten nichts mit ihnen gemein.
Man kennt nun mal sich selbst am besten…
So ist es. Man braucht sich, um aus eigener Sicht über andere schreiben zu können.
Sie haben Ihr nächstes Buch angesprochen. 2016 soll es herauskommen und mit Fritz Honka eine historische Figur, einen Serienmörder thematisieren. Da finde ich es interessant, wenn Sie sagen, man würde immer auch von sich erzählen. Haben Sie Parallelen zwischen sich und Honka entdeckt?
Zwischen mir und Honka nicht – wenn es anders wäre, würde ich es zugeben. In dem Buch kommen aber noch andere Figuren vor. Speziell eine Figur ist dabei, die mir sehr ähnlich ist. Ich denke, wer mich kennt, wird leicht herausfinden, wer gemeint ist.
Aktuell haben Sie ja Ihr Buch „Das Strunk Prinzip“ veröffentlicht, eine Sammlung Ihrer Titanic-Kolumnen. Thematisch geht es da ja um Selbstoptimierung. Können Sie mir dazu etwas sagen?
Wir haben einfach geschaut, wie man die einzelnen Kolumnen in einer schönen Verpackung gebündelt herausgeben kann. Das Stichwort Selbstoptimierung ist dabei übrigens nicht maßgeblich – auch, wenn das Thema mich schon immer faszinierte, weil es so unsagbar dämlich ist. Einen Höhepunkt hatte dieser Trend zur Selbstoptimierung und -ermächtigung ja bereits in den Neunzigern mit Leuten wie Jürgen Höller und Emile Ratelband. Was mein Buch tatsächlich in die Nähe dieser Leute rückt ist sein Cover: Es zeigt mich 1:1 als Jürgen Höller.
Kann man vielleicht sagen, dass jener Mathias Halfpape sich selbst optimiert hat, indem er zu Heinz Strunk wurde?
Ich würde andere Begriffe wählen, aber es hat schon eine große Veränderung auf dem Weg zu Heinz Strunk gegeben. Mit 30 habe ich die Idee an den Nagel gehängt, ein erfolgreicher Musiker sein zu wollen. Stattdessen habe ich mich dem Humoristischen zugewandt. Das war aber nicht der nächste Schritt in einem Masterplan, sondern hat sich über Learning-by-Doing so ergeben. Ich habe viel ausprobiert, und es hat erstaunlich viel geklappt.
Wer weiß, vielleicht werden Sie ja jetzt noch ein erfolgreicher Musiker: In ein paar Tagen kommt ihr neues Album „Sie Nannten Ihn Dreirad“ heraus. Was hat es damit auf sich?
Das ist durch das Fraktus-Projekt (Anm.: Wer den Film Fraktus nicht kennt: Ankucken!) entstanden. Für das letzte Fraktus-Album steuerte ich vier Songs bei, und das hat sich dann verselbstständigt, weil ich den Spaß an der Musik wiederentdeckt und innerhalb kurzer Zeit um die 20 Songs geschrieben habe. Auf meiner Platte habe ich jetzt zwölf Songs. Es ist Popmusik, zumindest finde ich sie poppig, auch wenn es mit dieser Charts-Musik nicht viel gemein hat.
Nachdem Sie sowohl ein neues Buch als auch eine neue Platte haben: Bekommen die Besucher Ihrer Tour nun den Strunk-Rundumschlag?
Genau. Von daher erschien es mir auch naheliegend, das Album zur Tour herauszubringen, denn auf diese Weise kann ich die Lesereise zur Show erheben. Mal sehen, eventuell spiele ich die Songs live mit Akkordeon oder Flöte, vielleicht mache ich aber auch irgendwas mit Halbplayback. Einen Diavortrag könnte ich mir auch vorstellen. Und dazwischen gibt´s das Strunk-Prinzip. Es wird ein Entertainment-Paket aus meiner Musik und meinen Texten.