© Würzburg macht Spaß
Wülivery
Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran. Während der Online-Handel boomt, wird es für den stationären Handel immer schwieriger. Das Projekt WüLivery greift dem lokalen Einzelhandel mit einem nachhaltigen Same-Day-Lieferservice unter die Arme. Wir haben mit den Initiatoren Wolfgang Weier von „Würzburg macht Spaß“ e.V., André Hahn von der Stadt Würzburg und Radboten-Gründerin Karolin Zientarski gesprochen.
Wie geht es dem Würzburger Einzelhandel?
W. Weier: Um es in Zahlen zu sagen: Im Oktober 2019 hatten wir an der Ecke Schönbornstraße/Eichhornstraße eine Frequenzzählung von 1.050.000 Passanten. Diesen Oktober waren es nur noch 700.000. In der ersten Novemberwoche 2020 ist die Zahl von 207.000 vom Vorjahr um 149.000 gesunken. Und das sind lediglich Frequenzen. Bei den Umsätzen sieht‘s natürlich noch schlimmer aus. Besonders betroffen ist der Textileinzelhandel.
Was ist WüLivery?
W. Weier: Die Idee entstand bereits vor ein paar Jahren. Wir wollten ein Serviceangebot für Kunden schaffen, das ihnen eine schnelle, bequeme und ökologisch nachhaltige Lieferung ihrer Einkäufe nach Hause ermöglicht. Durch Corona hat das Ganze einen anderen Aspekt angenommen. Kunden meiden den Gang in den Laden und shoppen lieber von zuhause aus. Mit WüLivery können sie, egal, ob der Händler einen Online-Shop besitzt oder nicht, ihre Ware bestellen und bekommen sie noch am gleichen Tag geliefert. Alles, was vor 16 Uhr beauftragt wird, ist bis 19 Uhr beim Kunden. Die Händler dagegen können schneller als die Online-Riesen und mit 4,50 Euro pro Paket günstiger als die Paketdienstleister liefern. In der Weihnachtszeit bis einschließlich 24.12. kostet ein Paket sogar nur 2 Euro. Mit den Radboten haben wir einen Logistikpartner gefunden, der das nötige Know-How besitzt, um das Ganze digital aufzustellen.
K. Zientarski: Wir von den Radboten haben großes Interesse daran, das Projekt voranzubringen und die Zusammenarbeit macht unheimlich viel Spaß. Seit 2017 sind wir stark expandiert und mit WüLivery sehen wir eine Möglichkeit, noch weiter zu wachsen. Da ist viel Potential da.
Wie können Einzelhändler*innen mitmachen?
A. Hahn: Einzelhändler können sich bei „Würzburg macht Spaß“ oder den Radboten melden und ihr Interesse bekunden. Sie werden dann auf unserer Internetseite beworben und an ihrer Ladentür wird ein Aufkleber angebracht, der auf die Teilnahme aufmerksam macht. Es ist ein sehr leichter Einstieg: Wer heute mitmachen möchte, ist morgen dabei.
K. Zientarski: Sogar noch schneller. Entschließt sich ein Kunde im Laden – bei einem Händler, der noch nicht dabei ist – zu einer Lieferung nach Hause, genügt ein Anruf des Händlers bei der WüLivery-Hotline.
Gerade auf dem Land shoppen die Menschen gerne online. Liefert ihr auch ins Würzburger Umland?
K. Zientarski: Aktuell ist das Projekt auf das Stadtgebiet bezogen. Wir wollen erst mal starten und Erfahrungen sammeln. Mittelfristig haben wir vor, den Service auch in den Umland-Gemeinden anzubieten. Bei weiteren Strecken werden dann Elektrofahrzeuge o.Ä. zum Einsatz kommen.
A. Hahn: Wir sind gerade in einem dynamischen Prozess. Wir beobachten die Bedürfnisse und passen das Konzept dann entsprechend an, um den Kunden den bestmöglichen Service zu bieten.
Ist die Aktion zeitlich begrenzt? Wie geht es nach dem Weihnachtsgeschäft weiter?
W. Weier: Weil es in diesem Jahr – alle Events sind abgesagt – die einzige Unterstützung ist, die wir dem Handel noch geben können, stecken wir sehr viel Energie und Geld in das Projekt. Wir wollen aber auch an die Zeit nach Corona denken und längerfristig planen. WüLivery soll daher mindestens anderthalb Jahre Zeit bekommen, um sich zu entwickeln. Mitte des Jahres 2022 kann man dann eine Bilanz ziehen: Hat es sich gelohnt? Wie wurde das System kundenseitig nachgefragt? Wie viele Händler sind dabei? Dann entscheiden wir, wie es weiter geht.
Man könnte annehmen, dass die Leute wegen geschlossenen Cafés, Bars und Restaurants stattdessen in die Läden strömen. Vor dem zweiten Lockdown hat es in ganz Bayern keinen nachweisbaren Fall einer Ansteckung beim Einkaufen gegeben. Wieso scheuen die Menschen trotzdem davor zurück?
A. Hahn: Einkaufen ist nicht nur Konsum, sondern auch ein Erlebnis. Häufig geht man in die Stadt, um zu bummeln, verbindet das mit einem Cafébesuch oder einem Essen. Diese Dinge sind gerade nicht möglich und versetzen dem Erlebniseinkaufen einen Dämpfer. Wir haben festgestellt, dass die Kunden während Corona sehr gezielt einkaufen gehen, das Bummeln fällt weg. Die Menschen haben Respekt vor der aktuellen Situation, schränken Kontakte ein, gehen seltener nach draußen. Und wenn doch, dann gehen sie gezielt in bestimmte Läden. Angst, im lokalen Einzelhandel einzukaufen, muss aber keiner haben. Die Einzelhändler haben umfangreiche Hygienekonzepte zum eigenen Schutz und zum Schutz der Kunden entwickelt und umgesetzt.
In der Not werden viele Einzelhändler*innen erfinderisch. Wie hat man sich im Handel an die Situation angepasst und was können Einzelhändler*innen tun, um ihr Geschäft über WüLivery hinaus zu optimieren?
A. Hahn: Viele Einzelhändler haben Masken in ihr Sortiment aufgenommen und damit den Bedürfnissen der Kunden entsprochen. Ich glaube, das war ein guter Frequenzbringer.
W. Weier: Es ist enorm wichtig, dass sich der Einzelhandel digital besser aufstellt. Eine Studie von DHL hat gezeigt, dass in ganz Deutschland 250.000 Einzelhändler keinen Online-Auftritt haben. Mir ist bewusst, dass man das gerade jetzt im Weihnachtsgeschäft nicht stemmen kann, aber mittelfristig gesehen, ist es wichtig, dass der Einzelhandel seine Hausaufgaben macht. Es muss nicht immer ein Online-Shop sein. Essentiell ist aber: Der Händler muss online gefunden werden, er muss sich online darstellen. Wenn er das nicht tut, existiert er quasi nicht.
Wie könnt ihr euch erklären, dass so viele Einzelhändler*innen digital schlecht aufgestellt sind?
A. Hahn: Da kommen viele Faktoren zusammen. Es fehlt oft das nötige KnowHow beim Einzelnen. Es gibt zahlreiche Anbieter unterschiedlichster digitaler Lösungen und Dienstleistungen auf dem Markt. Die Palette der Angebote ist dabei sehr vielfältig und fast schon unübersichtlich, sodass einzelne Händler sich hier eher wieder distanzieren. Wir befinden uns zudem in einem rasanten Strukturwandel. Immer up to date zu sein, und das neben dem eigentlichen Geschäft, bindet unheimlich viele Ressourcen.
W. Weier: Es fehlt Know-How, es fehlt Zeit. Einzelhändler haben meist sechs Tage die Woche geöffnet. Außerhalb dieser Zeit muss man sich um Personal und Buchhaltung kümmern, Werbestrategien planen. Wenn dann noch Online und Social Media dazu kommen, wird es schwierig.
Für den Einzelhandel ist keine Entschädigung durch die Novemberhilfe vorgesehen. Welche Folgen hat das für die Händler*innen?
W. Weier: Weil der Einzelhandel öffnen darf, wird er finanziell nicht unterstützt. Vielleicht macht es sich die Politik da etwas zu leicht und ich hoffe, dass man von dieser Meinung abrückt. Es wird davon ausgegangen, dass Umsatz generiert wird. Dass dem nicht so ist, zeigt der Frequenzrückgang in Würzburg von über 35 %, der sich wiederum direkt auf den Umsatz auswirkt. Wenn man vom Textileinzelhandel absieht, wo die Situation noch schlimmer ist, ist der Umsatzverlust meistens relativ deckungsgleich mit dem Frequenzrückgang.
Was passiert, wenn finanziell nicht nachgerüstet wird? Droht dann ein Kahlschlag in der Innenstadt?
A. Hahn: Es ist schwierig, hier zuverlässige Vorhersagen zu treffen. Aber in einem können wir uns sicher sein: wenn die Auswirkungen der Corona-Pandemie für die Innenstädte zu sehen sind, ist es für viele schon zu spät.
W. Weier: Ich habe für Würzburg noch ein bisschen mehr Hoffnung als für andere Städte. Vor Corona verzeichneten wir eine Leerstandsquote von 5 %, was wenig ist. Der deutsche Durchschnitt liegt bei 12 %, in manchen Städten sind es sogar 30 %. Wir haben ein riesiges Einzugsgebiet, zudem 35.000 Studenten. Ich glaube, dass unsere Stadt moderat durch die Krise kommen wird, aber sicher nicht ganz verlustfrei. Diese Entwicklung hängt natürlich von der Unterstützung ab, die den Unternehmen gewährt wird. Den ersten Lockdown hat man noch irgendwie verkraften können, aber jetzt mache ich mir Sorgen. Wer kommt da durch? Wer nicht?
Sind weitere Strategien geplant, um die Innenstadt trotz Corona vital zu halten?
A. Hahn: Würzburg ist eine der wenigen Städte, in denen der Weihnachtsmarkt nicht abgesagt wurde. Die 40 Stände, die in der Innenstadt verteilt sind, können als Frequenzbringer dienen. Außerdem kommen wir unseren Gastronomen entgegen, indem wir dieses Jahr für die Außengastronomie keine Sondernutzungsgebühren erheben. Es sind kleine Maßnahmen, mit denen wir versuchen, dem Handel und der Gastronomie ein wenig entgegenzukommen. Aber eine wirkliche Strategie, die für alle die beste ist, gibt es nicht.
W. Weier: Die Innenstadt hat einen sozialen Charakter, ist ein Ort der Begegnung. Man trifft sich, geht zusammen einkaufen, isst gemeinsam im Lokal und besucht Events. Alles, was eine Stadt vital und lebenswert macht, ist nun eingeschränkt. Wir müssen einfach abwarten, bis die Pandemie vorbei ist und wir zu einem normalen Leben zurückkehren können. Und je länger das dauert, desto mehr werden leider die ansässigen Unternehmen belastet.
Liebe FRIZZ-Leser*innen …
W. Weier: Unterstützt unsere lokalen Unternehmen!
A. Hahn: Holt euch euer Essen ab oder lasst es euch liefern. Geht bei unseren Würzburger Händlern einkaufen und nicht bei großen Online-Firmen!
K. Zientarski: … und nutzt WüLivery, falls ihr corona-bedingt nicht in die Geschäfte kommen wollt oder könnt!