© iStockphoto
April,April
A wild looking woodsman hunts taxidermy, a stuffed jackalope (rabbit with antlers). Vintage wallpaper background, horizontal with copy space.
Wenn Schüler*innen vier Tage nach Erscheinen dieser FRIZZ-Ausgabe unterwegs sind, um im Auftrag des Klassenleiters zwei Päckchen Ohwiedumm aus dem Lehrerzimmer zu holen, Azubis auf dem Bau den Werkzeugkasten nach Bosch Lufthaken durchsuchen oder Leser*innen einer oberbayerischen Lokalzeitung die Meldung einer Wolpertingersichtung mit einem „Ich hab´s immer gewusst“ quittieren, dann wurden sie mit an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit in den April geschickt. Sie gingen einem Aprilscherz auf den Leim, wurden veräppelt, harmlos verarscht. Das macht man so in weiten Teilen Europas und Nordamerikas. Man schickt seine Mitmenschen in den April, wie man sagt, einer Tradition zufolge. „April, April“.
Schüler dürfen Lehrer veräppeln, der Meister seine Lehrlinge, legitimiert durch den ersten April. Gelungene Aprilscherze führen Menschen hinter´s Licht, erteilen ihnen mitunter unmögliche Aufgaben. Sie bestätigen ungleiche soziale Verhältnisse oder hebeln sie kurzfristig aus. Wer sie macht, muss sie jeweils glaubhaft vorbringen, wozu es einer gewissen Autorität bedarf, nämlich der des Wissensvorsprungs – und wer auf sie reinfällt, muss die erlittene Schmach würdevoll wegstecken, um nicht noch gelackmeierter dazustehen. Denn wer andere am ersten April zum Narren macht, genießt Narrenfreiheit.
Die Möglichkeit der Aussetzung bestehender Verhältnisse und die als Spaßvorgetragene Kritik an ihnen hat Tradition, und zwar bestimmt nicht erst seit dem mittelalterlichen Hofnarrentum. Die traditionelle Herkunft des Aprilscherzes liegt allerdings im Dunkeln. Er existiert als ein Brauch, dessen überlieferte Geschichte abhanden kam. Sein Wie ist wohlbekannt, nicht allerdings sein Woher.
Den volkstümlichen Ursprung des Aprilscherzes verortet man bereits im Aberglauben der Antike, wo der erste April – wie z.B. auch Freitag, der 13. – ein besonders vom Unglück behafteter Tag gewesen sein soll. Nicht umsonst soll dann auch Judas an einem 1. April geboren sein, oder zumindest gestorben, wie es woanders heißt. Luzifer selbst soll am 1. April in die Hölle eingezogen sein. Und der gilt gemeinhin als garstig. Da hört der Spaß auf. Allerdings: „Wer sich als Narr ausgibt, ist am 1. April vor den Anfeindungen des Teufels sicher“, wie Theologe Manfred Becker-Huberti innerhalb einer religiösen Theorie zum Aprilscherz schlussfolgerte. Weil früher der Glaube herrschte, dass der Teufel am 1. April besonders viel Macht habe – und er jene, die ihm verfallen sind, an ihrer Narretei erkennt.
Der erste nachweisliche Gebrauch der Redensart „in den April schicken“ ist in Deutschland auf das Jahr 1618 datiert. In Bayern, eventuell war damals schon der Wolpertinger im Spiel. Das Spiel mit ihm – dem Aprilscherz, nicht dem Wolpertinger – war alsbald für die Medien ein gefundenes Fressen. Der erste per Zeitung verbreitete Aprilscherz erschien 1774. Mit Ausblick auf das bevorstehende Osterfest wurde da verkündet, man könne nicht nur Ostereier färben, sondern auch Hühner in Wunschfarben züchten, indem man ihrer Umgebung einen entsprechenden Anstrich verpasst. Die Hühner würden sich dann an die jeweilige Farbe angleichen. Aber nix da. April, April. Heute wissen auch Leichtgläubige: Gentechnik ja, Lack nein.
Weitere Beispiele geglückter April-Schickungen von Medienvertretern gibt es zuhauf. Gerade der BBC scheint sich besonders viel Mühe beim Bärenaufbinden zu geben. Berühmt wurde jener Scherz, für den 1957 eigens eine Mockumentary produziert wurde. Der TV-Beitrag berichtet von der Spaghetti-Ernte im Tessin. Die britischen Fernsehzuschauer staunten nicht schlecht über die mühsame Prozedur, bei der die Spaghetti einzeln gepflückt und anschließend zum Trocknen in die Sonne gelegt wird. Tausende riefen beim Sender an, um sich zu erkundigen, wo man denn solche Bäume bekäme und ob sie nicht selbst ein paar Spaghetti-Bäume auf ihrem englischen Rasen anpflanzen könnten. Der weit über ein schnödes „April, April“ hinausgehende Tipp des BBC: „Stecken Sie einen Spaghetti-Zweig in eine Dose mit Tomatensoße und hoffen Sie auf das Beste“.
Ein weiterer BBC-Kracher zum 1. April war jener des Astronomen und Moderatoren Patrick Moore, der 1976 verkündete, dass eine besondere Jupiter-Pluto-Konstellation Einfluss auf die Erdanziehungskraft hätte. Wer um 9.47 Uhr in die Luft springen würde, der könne kurz das unnachahmliche Gefühl der Schwerelosigkeit spüren. Natürlich weiß man nicht, wie viele Menschen tatsächlich einen Luftsprung unternahmen, aber hunderte von ihnen berichteten freudig, wie sie für einen flüchtigen Moment die Gravitation überwandten. Schön, dass der Glaube nicht nur Berge versetzt. Außerdem schön, dass der Traum vom Fliegen – oder zumindest vom kurzfristigen Schweben – auch heute noch Konjunktur hat: Auf Daily Buzz Live wurde Patrick Moores Aprilscherz anno 2015 erfolgreich zitiert. Dieselbe Geschichte einer speziellen Jupiter-Pluto-Konstellation verbreite sich wie ein Lauffeuer via Social Media, wurde alleine auf facebook mehr als eine Million Mal geteilt – und brachte erneut eine Menge Menschen zum Hüpfen, von denen wiederum viele die geringe Schwerkraft genossen.
Angesichts solch sensationeller Veräppelungserfolge geraten Medienunternehmen natürlich unter Druck. Aprilscherze müssen immer krasser werden, wie eben alles, was als obligatorisch empfunden wird, immer krasser und effekthascherischer werden muss, um im Sensationsdschungel der Gegenwart noch Aufmerksamkeit zu erlangen – was übrigens nicht erst seit gestern der Fall ist. Bereits 1999 wurde in der damals bei RTL ausgestrahltenTalkshow von Hans Meiser eine Urne mit der Asche eines angeblich Verstorbenen auf dem Studioteppich verteilt. Natürlich erhitzte die inszenierte Geschmacklosigkeit die Gemüter – und war als Aprilscherz besonders billig, nachdem er bereits tags zuvor, am 31.3., begangen wurde. April, April?
Die fragwürdige Vorverlegung des Aprilscherzes zur Steigerung seines Veräppelungsvermögens verdeutlicht folgenden Umstand: Wer einen urbanen Mythos erfolgreich installieren will, tut dies besser an jedem anderen der 364 anderen Tage des Jahres, weil am 1. April verstärkt die geistigen Warnblinkerleuchten. Populisten wissen das, weswegen Vorsicht geboten ist, wenn sie z. B. am 20. April Rassenlehren und sonstigen Schmarrn anhand der Gefahr des Wolpertingers als bösartiges Mischwesen verbreiten wollen. Es sollte längst allgemeingültig sein, dass der Wolpertinger ein possierliches Wesen ist.