Mit dem Herbst kommen Abende, die man gerne mit Filmen füllt – und zu Halloween haben Horrorfilme Konjunktur. Weil das Halloween-Fest inzwischen auch bei uns als schauriges Kostümfest begangen wird, bei dem Kinder Süßes verlangen und Saures androhen. Dabei wird Halloween seit den Neunzigern mehr und mehr zum Geschäftsmodell. An der Kinokasse klingelt Halloween schon länger. John Carpenters gleichnamiger Film erschien 1978. Er war im damals noch geteilten Deutschland zwar nicht gerade ein Instant-Kassenschlager, mauserte sich aber alsbald zum Kulthit. Seinem Protagonisten Michael Myers gebührt wohl auf ewig ein vorderer Platz in einschlägigen Filmbösewichtverzeichnissen. Hier soll der Film jedoch keine weitere Rolle spielen, er ist eh untrennbar an den 31.10. gebunden. Vielmehr werden andere Titel vorgestellt, die einen im Heimkino fesseln, während sie auf unterschiedliche Weise den Horror anvisieren. Vielleicht an Halloween. Für die erwartete Gruselstimmung.
Audition (J: "Ödishon", Takashi Miike, 1999)
Ein inszeniertes Casting soll dem verwitweten TV-Produzenten Aoyama zu neuem Liebesglück verhelfen - was zu funktionieren scheint. Gebrochen von lautem Pfeifen auf Genre Codes und wohldosierten Verfremdungsmechanismen spinnt "Audition" eine Romanze, innerhalb der sich das Böse nur ganz gemächlich anbahnt und die grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit zunehmend aushebelt, bis sie auf ein ganz und gar monströses Finale hinausläuft.
Blut an den Lippen (Bel/D: „Les lèvres rouges“, Harry Kümel, 1971)
Harry Kümels Vampirreigen ist ein erotisches Ränkespiel. Er knüpft an die historische Figur der Elisabeth Báthory an. Der Horror ist hier zwischen nackten Körpern in eine Krimihandlung gebettet, reflektiert menschliches Triebverhalten, setzt vordergründig auf Sexploitation, aber gleichzeitig ein feministisches Fanal. „This is completely trash“, bekannte einst Kümel. Das kann schon sein. Schund sah man jedoch selten derart kunstfertig durchkomponiert.
Das Waisenhaus (Mex/Esp: „El orfanato“, Juan Antonio Bayona, 2007)
„Das Waisenhaus“ ist ein dramatisches Schauermärchen, das grob an der Psyche nagt. Der Film verwebt übernatürliche Elemente mit ins Mark und Bein gehender Tragik. Der Horror kommt hier auf leisen Sohlen – und dabei gänzlich ohne Gewalt aus. Die FSK bewog das tatsächlich zu einer Freigabe ab zwölf Jahren. Obwohl „Das Waisenhaus“ mit seiner lange ausholenden Psycho-Keule auch hartgesottene Gore Hounds aus den Latschen haut.
Der Mieter (F: „Le locataire“, Roman Polanski, 1976)
Mietshäuser sind nichts für schwache Nerven. Zumindest, wenn Roman Polanski sie mit Leben und Tod füllt. „Der Mieter“ bildet den Abschluss der „Mieter-Trilogie“, die ersten Drittel werden von „Ekel“ und „Rosemary´s Baby“ besetzt. Kein Wunder also, dass „Der Mieter“ da etwas ins Hintertreffen gerät. Wie der Film aber banale Alltagssituationen ins Irrationale überführt und Wahnsinn und Paranoia als Mitbewohner aufnimmt… Lecko Mio!
Die Fliege (Can/USA: „The Fly“, David Cronenberg, 1986)
Basierend auf einer Kurzgeschichte, die 1957 im Playboy erschien (und 1958 erstmals verfilmt wurde) schuf David Cronenberg mit „Die Fliege“ ein Meisterwerk des Body Horrors – und gleichzeitig dessen Blaupause, wenn man bedenkt, dass der Gattungsbegriff erst für „Die Fliege“ etabliert wurde. Dabei bedient Cronenberg das Genre schon seit den Siebzigern. Was an dieser Stelle aber ebenso vernachlässigt wird wie die Stubenfliege in Seth Brundles Teleportationskammer…
Hausu (J: „Hausu“, Nobuhiko Ōbayashi, 1977)
Spukhäuser sind Horror-Dauerbrenner. Das, in dem einen „Hausu“ führt, ist besonders irre. Es wird für die sechzehnjährige Oshare, die gemeinsam mit sechs Schulfreundinnen ihre Tante besuchen will, zur Todesfalle – und für die Zuschauer*innen zum psychedelischen Schlund abgefahrener Filmexperimente. Die gebotene Gewalt erschüttert heute weniger als durchschnittliche TV-Krimis, fährt aber derart durchgeknallte Geschütze auf, dass einem die Kinnlade herunterklappt.
Phase IV (GB: “Phase IV”, Saul Bass, 1974)
Geht´s um Tierhorror, klaffen oft riesige Mäuler mit spitzen Reißzähnen. Nicht so bei “Phase IV”, dem einzigen Spielfilm von Saul Bass. Hier glotzt einem die Fratze des Schreckens gleich millionenfach entgegen – aus unergründlichen Ameisenaugen. Das Ergründen der Ameisen, die sich hier rasend schnell vermehren und evolutionäre Sprünge meistern, obliegt hier schließlich einem Forscherteam. Doch wer erforscht hier eigentlich wen?
Possession (F/D: “Possession”, Andrzej Zulawski, 1981)
West-Berlin, 1981: Der Horror ist der Beziehungsalltag. Geheimdienstler Mark erfährt das deutlich, als er von einem Auftrag zu seiner Frau Anna in die Kreuzberger Wohnung zurückkehrt. Die beiden haben sich vollkommen entfremdet. Er erfährt von einem Nebenbuhler und wittert einen zweiten, weswegen er Nachforschungen anstellt. Dabei stößt er auf etwas ungeahnt Monströses – was den Film wie vom Fieberwahn getrieben durch das geteilte Berlin hetzen lässt. Mit physischer Intensität.
The Endless (USA: „The Endless“, Justin Beson / Aaron Moorhead, 2017)
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Für die Kommune, in die einen „The Endless“ führt, gilt beides. Zwei Brüder kehren nach zehn Jahren zu ihr zurück, um reinen Tisch mit der Gruppe zu machen, zu der sie einst gehörten – und die der ältere von beiden als Todeskult schmäht. Der Film traumwandelt auf den Spuren von H.P. Lovecrafts kosmischem Horror. Das Grauen ahnt man hier schnell. Bis man es benennen kann, ist man ihm allerdings ausgeliefert.
The Eyes of my Mother (USA: „The Eyes of my Mother“, Nicolas Pesce, 2016)
Horror ohne Monster. Dafür mit einer Bestie, die man eigentlich bemitleiden möchte. In „The Eyes of my Mother“ schleicht sich das Grauen in der Gestalt eines Mädchens, das in merkwürdig dysfunktionalen Familienverhältnissen aufwächst, in die hypnotische Schwarz-Weiß-Optik eines unbestimmten Nirgendwos. Das Verbrechen hält Einzug in diese Wildnis. Die Wildnis begegnet ihm so, wie sie eben ist: Unschuldig, aber auch ungeheuerlich und unerbittlich.
The Girl with all the Gifts (GB: „The Girl with all the Gifts“, Colm McCarthy, 2016)
Mit der letzten Zombie-Welle schwappte „The Girl with all the Gifts“ aus Großbritannien rüber. Der Horror speist sich dort aus einer Dystopie, die viel dramatisches Potenzial zwischen den Kauleisten einer sich durch Pilzsporen verbreiteten Zombiebrut entfaltet. Diese kennt auch infizierte Kinder, die der Zombifizierung nicht komplett anheimgefallen sind. In einer Militärbasis werden sie quasi im Menschsein unterrichtet – obwohl der Mensch dem Menschen bekanntermaßen ein Wolf ist.
Wenn die Gondeln Trauer tragen (GB/I: „Don´t look now“, Nicolas Roeg, 1973)
Eine morbide Grundstimmung, für die die Stadt Venedig eine dankbare Kulisse stellt. Undurchschaubare Momente, die die Gesetze der Welt auszuhebeln scheinen und sich dabei ästhetisch dem Giallo annähern. Und Trauerarbeit, die sich in sich selbst verliert: „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ heißt eigentlich „Don´t look now“, bezeugt insofern die Ambitionen von Titelübersetzer*innen und handelt im Kern eben vom Sehen, dessen Synonym bekanntermaßen auch das (Vor-)Ahnen ist.
Übrigens: Wenn Christian nicht gerade für den Würzburger FRIZZ den Pinsel schwingt, beschäftigt er sich als Farbfilm Ferguson mit allerlei Filmthemen. Im Internet, auf Youtube.
Youtube: https://tinyurl.com/y2lrkuq7