Buch Stock
Würzburg hat Geschmack. Es trägt die Würze schon im Namen. Und auch, wenn Etymologen noch darüber streiten, ob sich sein Name nun tatsächlich als Burg der Würze lesen lässt – fest steht: Aus Würzburg stammt das erste bekannte deutschsprachige Kochbuch.
Daz Buoch von guoter Spise. Oder, wie´s der sich weniger um´s Mittelhochdeutsche, sondern vielmehr um´s Hochdeutsche bemühte Mainfranke sagt: Das Buch von guter Speise. Es wurde um 1350 geschrieben, als Teil des Hausbuchs des Michael de Leone, der es in Auftrag gab. Michael de Leone wurde um 1300 in Würzburg geboren, war kaiserlicher Notar, später dann fürstbischöflicher Pronator und Scholastiker am Stift Neumünster. Das so genannte Hausbuch – eine Sammlung thematisch geordneter, handschriftlicher Texte – wollte er wohl seinen Nachfahren als Nachschlagewerk überlassen. Heute liegt es in München, in der Universitätsbibliothek, inklusive dem Kochbuch-Kapitel. Da haben wir also den Salat, während sich die Hauptstädter ihre Weißwürschd reinzuzeln. Toll.
Eins vorweg, als Gruß aus der Redaktionsküche: Das Buch von guter Speise führt weder Weißwurst noch Salat auf. Dafür 101 andere Rezepte. Wer die Cerankochfelder nicht gerade hensslermäßig rockt, dem sollen sie helfen. Oder, um´s mit Michael de Leone zu sagen:
Diz buoch sagt / von guoter spise / Daz machet / die vnverrihtigen koeche wise. / Ich wil vch vnderwisen. / von den kochespisen. / der sin niht versten kan.
Dennoch setzt der gute Michael viel kulinarische Vorbildung voraus, was ihm so mancher Sprachwissenschaftler ankreidet. Allerdings geht´s da um so Sachen wie Krapfenteig. Und eben „wuertze“. Mainfränkische Basics also, die keinerlei Fußnoten benötigen, weil der Würzburger sie aus dem FF beherrscht. Er kann ja nichts dafür, dass sich jetzt die Münchner Mediävisten die Zähne am Michael seinem Schinken ausbeißen. Hätten sie halt was Gescheites gelernt.
Michael de Leone hat alles drauf, vom deftigen Schmankerl bis zum schnellen Happen, vom Reste-Essen bis zum Verwöhnerle, vom Festschmaus bis zur experimentellen Küche. Seine Rezeptsammlung featured mus mit lauche, gebraten gefültes ferhelin, gefülten kuchen, geriht von eime hechte, compost von wisseln, fladen von kalbslebern und gleich mehrmals ein gut geriht. Bei denen ist er sich offenbar besonders sicher. Rezept 24 würzt er ebenfalls mit Vorschusslorbeeren: Daz ist auch gut. Da geht´s um die Verwertung von Brotresten mit Mandelmilch, ist allerdings ziemlich advanced. Einsteigern ist eher Gericht 6 zu empfehlen, eine kluge Spise: „Diz ist ein kluge spise. ein hirn sol man nemen und mel. und epfele und eyer. und menge daz mit würtzen. und striche ez an einen spiz. und bratez schoene und gibz hin. daz heizzet hirne gebraten. daz selbe tut man einer lungen die gesoten ist.“
Mahlzeit. Anfangs kaut Küchenchef Michael in seinem Buch von guter Speise erst mal die Klassiker durch. Dann stehen Fastenspeisen auf der Karte, in die er zwischendurch – das ist schon okay, da sagt der Heiland nix – ein paar sündig-süße Mandelsulz-Rezepte gemogelt hat. Und natürlich Krapfen. Gleich vier Rezeptvarianten hat er am Start. Woran sich zweierlei ablesen lässt. Erstens: Fasching und Fastenzeit bilden seit jeher ein Team – und im Zweifelsfall verzichtet die Jugend in der Bütt halt lieber auf Humor als auf Teigwaren. Zweitens: Ein Krapfen ist weder ein Puffel noch ein Kräppel und schon gar kein Berliner. Ein Krapfen ist ein Krapfen ist ein Krapfen. In dein Gesicht, seit 1350. Danke, Michael!
Dass sich dieses Wissen bis heute nicht vollständig in den Köpfen der Allgemeinheit verankern konnte, verwundert. Immerhin wurden große Teile der Rezepte schamlos plagiativ für das Mondseer Kochbuch oder das Wiener Kochbuch übernommen. Da sieht man´s wieder: Geistiger Diebstahl macht nicht zwingend klüger. Eventuell war das mit der Urheberschaft früher, wo man noch mit dem Federkiel drag´n´droppen musste, kein großes Ding. Wobei man das ebenfalls im Hausbuch des Michael de Leone nachlesen könnte. Weil der Rezeptblock ja lediglich einen Teil von ihm ausmacht. Die seinerzeit frisch erlassene Würzburger Polizeiverordnung ist ebenfalls enthalten. Irgendwo zwischen Lyrik von Walther von der Vogelweide, Aderlass-Vorschriften und der Fortsetzung von „Von dem üblen Weib“.